Dienstgrade der Soldaten der ehemaligen Nationalen Volksarmee
Im Bericht des Bundesministeriums der Verteidigung vom 9. Februar
1993 an den Unterausschuss „Streitkräftefragen in den neuen Bundesländern" heißt es u. a.:
„Soldaten der ehemaligen Nationalen Volksarmee, die vor dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990 aus der
NVA ausgeschieden sind und nicht als Soldaten in der Bundeswehr gedient haben, sind keine Reservisten der Bundeswehr. Sie gelten als Gediente in fremden Streitkräften. Einen Dienstgrad der Bundeswehr
besitzen sie nicht. Der in der ehemaligen
NVA erworbene Dienstgrad darf nicht mit dem Zusatz ,der Reserve' oder ,außer Dienst' geführt werden. "
1. Wie begründet der Bundesminister der Verteidigung, daß die Nationale Volksarmee der durch Staatsvertrag der Bundesrepublik Deutschland beigetretenen Deutschen Demokratischen Republik keine deutsche, sondern eine „fremde Streitkraft" war?
Welches Kriterium gilt für die Kennzeichnung „fremd"?
Die Bezeichnung „Wehrdienst in fremden Streitkräften" ist ein Begriff des Wehrpflichtrechts. Es handelt sich um die amtliche Überschrift des § 8 des Wehrpflichtgesetzes. Dort wird als Wehrdienst in fremden Streitkräften der Militärdienst eines Deutschen angesprochen, den dieser außerhalb der eigenen Streitkräfte der
Bundesrepublik Deutschland (Bundeswehr) geleistet hat. Wenn der Wehrdienst in der ehemaligen
NVA als in fremden Streitkräften abgeleistet bezeichnet wird, handelt es sich somit um die wehrpflichtrechtliche Einordnung dieses Dienstes. Sie bringt,ohne daß damit eine Diskriminierung verbunden ist, lediglich zum Ausdruck, daß die Dienstleistung nicht in der Bundeswehr erfolgte. Nach § 8 Abs. 2 des Wehrpflichtgesetzes kann Wehrdienst in fremden Streitkräften auf den in der Bundeswehr zu leistenden Wehrdienst angerechnet werden, um Härten zu vermeiden, die
ansonsten in einer doppelten Heranziehung zum Wehrdienst liegen könnten. Ebenso wie ggf. der Militärdienst, den ein Deutscher mit einer weiteren Staatsbürgerschaft in Streitkräften eines anderen Landes geleistet hat, wird auch der in der ehemaligen
NVA geleistete Wehrdienst nach dieser Vorschrift auf den Grundwehrdienst angerechnet.
2. Mit welcher Begründung verweigert der Bundesminister der Verteidigung bzw. die Bundesregierung den ehemaligen Angehörigen der Nationalen Volksarmee das bisher auch in der Bundesrepublik Deutschland akzeptierte und angewandte internationale Gewohnheitsrecht, wonach gediente Soldaten ihren Dienstgrad mit dem
Zusatz „außer Dienst" tragen können, und dies ohne Beachtung dessen, ob diese Armee noch besteht oder nicht?
3. Wie erklärt der Bundesminister der Verteidigung, daß die ehemaligen Angehörigen
früherer deutscher Armeen — z. B. der Reichswehr oder der Wehrmacht — auch wenn sie nie Angehörige der Bundeswehr waren, zu keiner Zeit als „Gediente in fremden Streitkräften" galten und es ihnen nie untersagt war, ihren letzten Dienstgrad mit dem Zusatz „außer Dienst" zu führen?
Die Befugnis für Soldaten der
NVA, die Bezeichnung des dort zuletzt erreichten Dienstgrades nach dem Ausscheiden aus dem Wehrdienstverhältnis mit den Zusätzen „a. D."oder „d. R."weiter führen zu dürfen, war eine gesetzliche Folge der Reservistenordnung der DDR. Nach dem Einigungsvertrag ist diese Reservistenordnung kein fortgeltendes Recht. Die früher aus ihr abzuleitenden Befugnisse sind erloschen. Für die Weiterführung von Dienstgradbezeichnungen der ehemaligen
NVA gibt es keine Rechtsgrundlage. Es liegt folglich nicht in der Hand des Bundesministeriums der Verteidigung, die Weiterführung von Dienstgradbezeichnungen der ehemaligen
NVA zu gestatten.
Für Angehörige der Reichswehr oder der Wehrmacht hat sich die
Frage einer Anrechnung von Wehrdienst gemäß § 8 des Wehrpflichtgesetzes nie gestellt, da diese Streitkräfte nicht zeitgleich neben der Bundeswehr bestanden haben. Das Berufssoldaten der Wehrmacht ihre letzte Dienstgradbezeichnung mit dem Zusatz „a.D."weiterführen dürfen, ist in § 53 Abs. 5 des Gesetzes zur
Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen geregelt.
Die entsprechende Bestimmung für Soldaten der Bundeswehr enthält § 44 Abs. 7 des Soldatengesetzes.
Ein in der Bundesrepublik Deutschland akzeptiertes und angewandtes internationales Gewohnheitsrecht, das eine
Dienstgradführung ohne eine ausdrückliche Rechtsgrundlage erlaubt, läßt sich damit nicht feststellen.
4. Welche politischen, juristischen und versorgungsrechtlichen Konsequenzen gedenkt der Bundesminister der Verteidigung bzw. die Bundesregierung aus der Einstufung der ehemaligen Angehörigen der Nationalen Volksarmee als „Gediente in fremden Streitkräften" abzuleiten bzw. werden durch diese Kennzeichnung ermöglicht?
Aus der wehrpflichtrechtlichen Einordnung des in der ehemaligen
NVA abgeleisteten Wehrdienstes allein können keine politischen, anderen juristischen oder versorgungsrechtlichen Konsequenzen abgeleitet oder ermöglicht werden.